Soziale Medien verändern unsere Öffentlichkeit. Viel mehr Menschen können heute im Internet ihre Meinung sagen. Und: jede:r von uns bekommt dort andere Informationen zu sehen. Wie kommen wir so wieder ins Gespräch?
Wer es vielleicht niemals in die Schlagzeilen und Abendnachrichten gebracht hätte, kann immer noch im Internet veröffentlichen. So sind Meinungen und Ansichten zugänglich geworden, die früher kaum öffentlich diskutiert wurden. Einerseits hilft das der Freiheit. Denn so können Menschen das Unrecht öffentlich machen, das ihnen angetan wird: etwa rassistische Polizeigewalt oder sexuelle Übergriffe.
Andererseits bedroht diese digitale Kommunikation die Freiheit. Im Dickicht aus Verschwörungstheorien und „alternativen Fakten“ droht verloren zu gehen, dass es sie noch gibt: echte Fakten. Zwischen Shitstorms und Hatespeech steht die Anerkennung der Menschenwürde auf dem Spiel.
Über das neunte Gebot nachzudenken hilft, beides zu sehen: Chancen und Gefahren für die Freiheit im digitalen Raum. Das Gebot verbot ursprünglich, falsche Zeugenaussagen vor Gericht zu machen. So schützt es Menschen davor, zu Unrecht angeklagt und bestraft zu werden. Im weiteren Sinne lässt sich das heute so verstehen: Erkennt einander an, behandelt euch mit Respekt.
Diese Anerkennung ist die Grundlage für Freiheit. Wer sich nicht respektiert fühlt, traut sich nicht mehr raus und verliert Freiheit. Deshalb sind Anerkennung und Respekt wichtige Grundlagen für Freiheit. Wo Menschen (online) über andere herziehen oder Lügen verbreiten, wird diese Grundlage beschädigt.
Früher haben vor allem Journalist:innen in Radio, Fernsehen und Zeitungen Öffentlichkeit hergestellt. Seit dieser Prozess immer mehr im Internet stattfindet, hat sich auch unser Verständnis dieser Öffentlichkeit gewandelt – zum Guten und zum Schlechteren: Digitale Medien haben die Öffentlichkeit vielfältiger gemacht, viel mehr Menschen können leichter auf Informationen zugreifen und selbst publizieren. Das hilft ihnen, selbständig zu überprüfen, was andere Medien veröffentlichen. Es hilft, autoritäre Regime zu kritisieren.
Gleichzeitig kann die Informationsflut auch überfordern. Dann verbreiten und glauben Menschen Falschinformationen und Verschwörungstheorien. Hier ist die kirchliche Bildungsarbeit gefordert, Menschen zu mehr Urteilskompetenz und Wissen – und damit zu mehr Freiheit zu helfen. Dringend nötig ist auch ein echter Qualitätsjournalismus, der das Vertrauen der Nutzer:innen verdient, indem er offen mit seiner Arbeitsweise umgeht.
Heute informieren sich viele Menschen in den sozialen Medien, kommentieren und diskutieren dort mit. Nur bekommen wir nicht alle die gleichen Informationen. Plattformen passen für jede:n Nutzer:in an, was sie oder er zu sehen bekommt – nämlich das, was sie oder ihn vermutlich am meisten interessiert, am längsten auf der Plattform hält oder am stärksten aufregt. Algorithmen präsentieren uns vor allem das, was besonders viele Reaktionen hervorruft.
So wird unsere Öffentlichkeit gefühlslastiger, skandalträchtiger und ein Ort vielfältiger Empörung. Informationen werden oft aus dem Kontext gerissen und dann geteilt. Das macht es schwerer einen Überblick zu gewinnen und leichter, Falschnachrichten zu verbreiten. Hinzu kommen politische Kampagnen, die bewusst und versteckt falsche Informationen streuen. All das macht es schwerer, Meinungen und Fakten, Falschinformationen und Nachrichten voneinander zu unterscheiden.
Die Macht der digitalen Netzwerke muss kontrolliert und begrenzt werden. Die Kirche kann mit gutem Beispiel vorangehen, indem sie ihre Marktmacht nutzt, alternative Dienste fördert und Datenschutz einfordert.
Die Veranstaltung geht der Frage nach, wie objektiv ist Wahrheit im virtuellen Raum, wie wahrhaftig agieren wir dort als Menschen und wie schnell werden auch ruhige Gemüter verleitet, in der Anonymität auf verkürzte und teils unwahre Behauptungen aufzuspringen, sie (häufig ungeprüft) weiterzuverbreiten und damit öffentlich wirksam zu machen.